Keine schlechten Karten
Reporter Eutin
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Eutin (nc). Auf den ersten Blick wirken sie recht unspektakulär, die drei Landkarten, die da auf einem Tisch ausgebreitet liegen. Jede für sich ist etwas größer als ein handelsübliches Din A3-Format, das Papier ist etwas vergilbt und in der Mitte ist anhand der Falz noch gut zu erkennen, dass die Karten einmal Bestandteil offenbar recht voluminöser Wälzer waren. Auf Flohmärkten findet man so etwas recht häufig, für wenige Euro wechseln dort ganze Sammelmappen den Besitzer. Ein zweiter Blick offenbart aber, dass es sich nicht um gewöhnliche Karten handelt, sondern um historische Landkarten, die den afrikanischen Kontinent zum Inhalt haben. Hübsch bebildert und recht farbenfroh sind sie ja, aber für die Urlaubsplanung trotzdem nicht zu gebrauchen – die Beschriftungen sind auf Latein und Straßen sucht der geneigte Betrachter vergebens.
Für Fachkundige hingegen handelt es sich bei den drei Afrika-Karten, die am 9. Juli 2024 durch die Fielmann Förderstiftung – repräsentiert durch die Kunstbeauftragte Dr. Constanze Köster und die Eutiner Niederlassungsleiterin Claudia Freutel – an die Eutiner Landesbibliothek übergeben wurden, um unschätzbare Raritäten, nämlich um wertvolle Originale aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Die älteste der Karten entstand um 1640 und war ursprünglich Bestandteil einer Ausgabe des „Atlas Major“, herausgegeben durch den niederländischen Kartographen und Verleger Willem Janszoon Blaeu. Das aufwendig mittels einzelner Kupferplatten gedruckte und vom Meister selbst handkolorierte Kartenwerk war im 17. Jahrhundert das teuerste und umfangreichste Buch überhaupt und wurde deshalb sogar als Staatsgeschenk geordert. Eine weitere Karte des afrikanischen Kontinents entstammt der Feder des Augsburgers Matthäus Seutter und datiert in das Jahr 1744, die dritte Karte, welche eine Detailansicht der westafrikanischen Küste bietet, wurde 1743 nach Angaben aus den Reiseberichten des Reynaud des Marchais (Kapitän eines französischen Sklavenschiffs) und kartografischen Werken Johann Matthias Hases hergestellt.
Ermöglicht wurde der Erwerb dieser herausragenden historischen Objekte dank einer großzügigen Spende der Fielmann Group AG, die bereits in den letzten Jahren die Eutiner Landesbibliothek mehrfach gefördert und Restaurierungsprojekte finanziert hatte. Dieses Mal musste es besonders schnell gehen, denn der Markt ist heiß umkämpft und so manche Rarität bei spezialisierten Auktionshäusern nur kurzzeitig verfügbar. „In solchen Fällen sind wir besonders dankbar, die Fielmann Förderstiftung an unserer Seite zu haben“, sagt Susanne Hatscher. „Dr. Köster bearbeitet unsere Anfragen immer schnell und unbürokratisch, ohne dass wir monatelang auf die Bewilligung von Anträgen warten müssen“, so die Expertin für historische Landkarten in der Landesbibliothek. Gemeinsam mit ihr freuten sich auch Bibliotheksleiter Prof. Dr. Axel E. Walter und Anja Sierks-Pfaff, Geschäftsführerin der Stiftung Eutiner Landesbibliothek, über den gelungenen Coup und die Neuzugänge im bereits rund 5.000 Karten umfassenden Fundus. „Kulturschätze wie diese Afrikakarten sind in der Eutiner Landesbibliothek insbesondere deswegen gut aufgehoben, da Forschende hier ein breites Spektrum an Beständen vorfinden, das so mancher bei dieser verhältnismäßig kleinen Forschungsbibliothek gar nicht vermutet“, führt Prof. Walter aus und ergänzt: „Historische Landkarten ergänzen sich eben wunderbar mit unserer einzigartigen Sammlung an historischer Reiseliteratur.“
Die drei historischen Landkarten sind insofern kulturgeschichtlich besonders interessant, als sie den afrikanischen Kontinent vor dem Beginn der systematischen Kolonialisierung durch europäische Großmächte darstellen. Zusammen mit den illustratorischen Beigaben, welche laut Susanne Hatscher den größten Reiz der Karten ausmachen, vermitteln sie dem Betrachter ein Gesamtbild. Dieses spiegelt einerseits das faktische Wissen der Kartographen über Küstenlinien, markante topographische Gegebenheiten und Grenzverläufe wider, transportiert aber andererseits auch Vorstellungen und Legenden, welche das Afrikabild in Europa zu jener Zeit prägten und teilweise bis heute nachwirken.
So finden sich etwa am oberen Rand der Karte von Willem Blaeu neun Ansichten verschiedener afrikanischer Städte, die einerseits die faktische Existenz von Handelsbeziehungen belegen, andererseits in ihrer Darstellungsform typisch europäischen Stadtplänen ähneln. Dadurch bleibt fraglich, ob die Ansichten tatsächliche Gegebenheiten vor Ort oder lediglich auf Gewohntem beruhende, europäische Vorstellungen widerspiegeln. Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung des Nils: Der längste Fluß der Welt ist – mit voneinander durchaus abweichenden Verläufen – sowohl auf der Karte von Blaeu als auch auf der späteren von Matthäus Seutter verzeichnet und entspringt einem auf beiden Karten nicht eindeutig definierbaren Gebiet namens „Lunae Montes“. Die sogenannten „Mondberge“ gehen allerdings auf Schriften des antiken griechischen Gelehrten Ptolemäus zurück, der in diesem legendären Gebirge bereits im 1. Jahrhundert nach Christus die Quelle des Nils verortete. Hierdurch wird deutlich, dass die kartographischen Darstellungen teils auf reinen Vermutungen beruhten, insbesondere was das Landesinnere betraf.
„Der Norden Afrikas sowie die Westküste waren durch den Handel etwa mit Pfeffer, Elfenbein, Sklaven und Gold gut erforscht“, so Susanne Hatscher, doch ohne genaue Kenntnis über schiffbare Flüsse, welche die Europäer erst vor dem Hintergrund kolonialistisch motivierter und entsprechend finanzierter Entdeckungsreisen im 19. Jahrhundert erwarben, „war das Eindringen ins Innere des Kontinents schwierig.“ Bildlich manifestiert sich dies in der Karte Willem Blaeus, welche eine auffällige Häufung von Tierdarstellungen im Inneren der Landmasse aufweist. Auf künstlerische Weise konnten so faktische Wissenslücken mithilfe von überdimensionierten Elefanten und Löwen kaschiert werden.
Dass genauere Kenntnisse bezüglich der Westküste bereits ein Jahrhundert zuvor vorhanden waren, belegt die sehr detaillierte Karte von 1743 mit einer für diese Zeit einzigartigen bildlichen Darstellung eines afrikanischen Handelsplatzes. Doch auch in diese schleichen sich mittels der Kindergestalten, welche im Vordergrund Elefantenstoßzähne vermessen, künstlerische Elemente ein – denn diese erinnern stark an sogenannte „Putten“, typische Stilelemente der europäischen Kunst der Renaissance und des Barock. Neben den kunstgeschichtlichen Aspekten sollte auch bedacht werden, dass das detailreiche Werk auf Basis der Berichte eines Sklavenhändlers erstellt worden war, wodurch sich vielfache Ansätze für eine historisch-kritische Beschäftigung mit diesem einzigartigen Material ergeben.
Axel Walter verdeutlicht, dass dies nicht nur für die neu erworbenen Stücke, sondern für historische Karten ganz allgemein gelte, denn diese seien in ihrer Bildhaftigkeit „unentbehrliche Zeugnisse im Rahmen von kulturgeschichtlichen Studien, gerade in Bezug auf die Thematik der Kolonialgeschichte, aber auch vor dem Hintergrund der heutigen Globalisierung.“
Am 25. Juli 2024 können die drei Afrikakarten um 17 Uhr im Rahmen einer Abendführung in der Eutiner Landesbibliothek bestaunt werden. Um Anmeldung wegen beschränkter Teilnehmerzahl wird unter Telefon 04521-788 770 beziehungsweise per E-Mail an info@lb-eutin.de gebeten.
Für Fachkundige hingegen handelt es sich bei den drei Afrika-Karten, die am 9. Juli 2024 durch die Fielmann Förderstiftung – repräsentiert durch die Kunstbeauftragte Dr. Constanze Köster und die Eutiner Niederlassungsleiterin Claudia Freutel – an die Eutiner Landesbibliothek übergeben wurden, um unschätzbare Raritäten, nämlich um wertvolle Originale aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Die älteste der Karten entstand um 1640 und war ursprünglich Bestandteil einer Ausgabe des „Atlas Major“, herausgegeben durch den niederländischen Kartographen und Verleger Willem Janszoon Blaeu. Das aufwendig mittels einzelner Kupferplatten gedruckte und vom Meister selbst handkolorierte Kartenwerk war im 17. Jahrhundert das teuerste und umfangreichste Buch überhaupt und wurde deshalb sogar als Staatsgeschenk geordert. Eine weitere Karte des afrikanischen Kontinents entstammt der Feder des Augsburgers Matthäus Seutter und datiert in das Jahr 1744, die dritte Karte, welche eine Detailansicht der westafrikanischen Küste bietet, wurde 1743 nach Angaben aus den Reiseberichten des Reynaud des Marchais (Kapitän eines französischen Sklavenschiffs) und kartografischen Werken Johann Matthias Hases hergestellt.
Ermöglicht wurde der Erwerb dieser herausragenden historischen Objekte dank einer großzügigen Spende der Fielmann Group AG, die bereits in den letzten Jahren die Eutiner Landesbibliothek mehrfach gefördert und Restaurierungsprojekte finanziert hatte. Dieses Mal musste es besonders schnell gehen, denn der Markt ist heiß umkämpft und so manche Rarität bei spezialisierten Auktionshäusern nur kurzzeitig verfügbar. „In solchen Fällen sind wir besonders dankbar, die Fielmann Förderstiftung an unserer Seite zu haben“, sagt Susanne Hatscher. „Dr. Köster bearbeitet unsere Anfragen immer schnell und unbürokratisch, ohne dass wir monatelang auf die Bewilligung von Anträgen warten müssen“, so die Expertin für historische Landkarten in der Landesbibliothek. Gemeinsam mit ihr freuten sich auch Bibliotheksleiter Prof. Dr. Axel E. Walter und Anja Sierks-Pfaff, Geschäftsführerin der Stiftung Eutiner Landesbibliothek, über den gelungenen Coup und die Neuzugänge im bereits rund 5.000 Karten umfassenden Fundus. „Kulturschätze wie diese Afrikakarten sind in der Eutiner Landesbibliothek insbesondere deswegen gut aufgehoben, da Forschende hier ein breites Spektrum an Beständen vorfinden, das so mancher bei dieser verhältnismäßig kleinen Forschungsbibliothek gar nicht vermutet“, führt Prof. Walter aus und ergänzt: „Historische Landkarten ergänzen sich eben wunderbar mit unserer einzigartigen Sammlung an historischer Reiseliteratur.“
Die drei historischen Landkarten sind insofern kulturgeschichtlich besonders interessant, als sie den afrikanischen Kontinent vor dem Beginn der systematischen Kolonialisierung durch europäische Großmächte darstellen. Zusammen mit den illustratorischen Beigaben, welche laut Susanne Hatscher den größten Reiz der Karten ausmachen, vermitteln sie dem Betrachter ein Gesamtbild. Dieses spiegelt einerseits das faktische Wissen der Kartographen über Küstenlinien, markante topographische Gegebenheiten und Grenzverläufe wider, transportiert aber andererseits auch Vorstellungen und Legenden, welche das Afrikabild in Europa zu jener Zeit prägten und teilweise bis heute nachwirken.
So finden sich etwa am oberen Rand der Karte von Willem Blaeu neun Ansichten verschiedener afrikanischer Städte, die einerseits die faktische Existenz von Handelsbeziehungen belegen, andererseits in ihrer Darstellungsform typisch europäischen Stadtplänen ähneln. Dadurch bleibt fraglich, ob die Ansichten tatsächliche Gegebenheiten vor Ort oder lediglich auf Gewohntem beruhende, europäische Vorstellungen widerspiegeln. Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung des Nils: Der längste Fluß der Welt ist – mit voneinander durchaus abweichenden Verläufen – sowohl auf der Karte von Blaeu als auch auf der späteren von Matthäus Seutter verzeichnet und entspringt einem auf beiden Karten nicht eindeutig definierbaren Gebiet namens „Lunae Montes“. Die sogenannten „Mondberge“ gehen allerdings auf Schriften des antiken griechischen Gelehrten Ptolemäus zurück, der in diesem legendären Gebirge bereits im 1. Jahrhundert nach Christus die Quelle des Nils verortete. Hierdurch wird deutlich, dass die kartographischen Darstellungen teils auf reinen Vermutungen beruhten, insbesondere was das Landesinnere betraf.
„Der Norden Afrikas sowie die Westküste waren durch den Handel etwa mit Pfeffer, Elfenbein, Sklaven und Gold gut erforscht“, so Susanne Hatscher, doch ohne genaue Kenntnis über schiffbare Flüsse, welche die Europäer erst vor dem Hintergrund kolonialistisch motivierter und entsprechend finanzierter Entdeckungsreisen im 19. Jahrhundert erwarben, „war das Eindringen ins Innere des Kontinents schwierig.“ Bildlich manifestiert sich dies in der Karte Willem Blaeus, welche eine auffällige Häufung von Tierdarstellungen im Inneren der Landmasse aufweist. Auf künstlerische Weise konnten so faktische Wissenslücken mithilfe von überdimensionierten Elefanten und Löwen kaschiert werden.
Dass genauere Kenntnisse bezüglich der Westküste bereits ein Jahrhundert zuvor vorhanden waren, belegt die sehr detaillierte Karte von 1743 mit einer für diese Zeit einzigartigen bildlichen Darstellung eines afrikanischen Handelsplatzes. Doch auch in diese schleichen sich mittels der Kindergestalten, welche im Vordergrund Elefantenstoßzähne vermessen, künstlerische Elemente ein – denn diese erinnern stark an sogenannte „Putten“, typische Stilelemente der europäischen Kunst der Renaissance und des Barock. Neben den kunstgeschichtlichen Aspekten sollte auch bedacht werden, dass das detailreiche Werk auf Basis der Berichte eines Sklavenhändlers erstellt worden war, wodurch sich vielfache Ansätze für eine historisch-kritische Beschäftigung mit diesem einzigartigen Material ergeben.
Axel Walter verdeutlicht, dass dies nicht nur für die neu erworbenen Stücke, sondern für historische Karten ganz allgemein gelte, denn diese seien in ihrer Bildhaftigkeit „unentbehrliche Zeugnisse im Rahmen von kulturgeschichtlichen Studien, gerade in Bezug auf die Thematik der Kolonialgeschichte, aber auch vor dem Hintergrund der heutigen Globalisierung.“
Am 25. Juli 2024 können die drei Afrikakarten um 17 Uhr im Rahmen einer Abendführung in der Eutiner Landesbibliothek bestaunt werden. Um Anmeldung wegen beschränkter Teilnehmerzahl wird unter Telefon 04521-788 770 beziehungsweise per E-Mail an info@lb-eutin.de gebeten.