Kieler Rocker besuchen Schauplätze der Nazi-Diktatur in Eutin
Reporter Eutin
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Eutin (nc). Was im aktuellen Kontext ausländerfeindlicher Parolen grölender Partygäste auf Sylt zunächst nach einem weiteren Skandal und einem Indiz für den fortschreitenden Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft klingen mag, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil – nämlich ein mutiger Ansatz, die Geschichte des Nationalsozialismus in Eutin einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Eutin entwickelt die Gedenkstätte Ahrensbök derzeit einen Stadtrundgang mit dem Arbeitstitel „Eutin im Nationalsozialismus 1932 bis 1945“. Das Kooperationsprojekt verfolgt die Zielsetzung, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit „vor der eigenen Haustür“ zu befördern und dieses dunkle, aber auch wichtige Kapitel der Stadtgeschichte vor Ort erlebbar zu machen. Zu diesem Zweck soll eine Broschüre herausgegeben werden, die es Einwohnern und Gästen Eutins ermöglicht, wichtige Schauplätze aus der Zeit des Nationalsozialismus aufzusuchen und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Orten und Ereignissen zu erhalten. Darüber hinaus sollen zukünftig auch etwa zweistündige, geführte Stadtrundgänge angeboten werden.
Ein erster – im wahrsten Sinne des Wortes – Probelauf fand am Sonntag, 2. Juni, mit einigen Mitgliedern des Motorradclubs „Kuhle Wampe“ aus Kiel statt. Der Verband, dessen Namensgebung nicht etwa auf ausladende Bierbäuche hindeutet, sondern einem am Berliner Müggelsee entstandenen Filmwerk über die Lebensverhältnisse der Arbeitergesellschaft aus der Zeit der Weimarer Republik entlehnt ist, engagiert sich deutschlandweit und international für antifaschistische und soziale Projekte. Entsprechend hoch war somit die Bereitschaft der Clubmitglieder, an diesem gesellschaftlich wichtigen Projekt mitzuwirken.
Geleitet von den Initiatoren Prof. Dr. Oskar Mittag (Mitglied des Trägervereins der Gedenkstätte Ahrensbök), Sebastian Sakautzki (ehemaliger Leiter der Gedenkstätte) und Jakob Sperrle (Stadtarchiv Eutin) führte der erste Rundgang durch das Stadtgebiet. An verschiedenen Orten beleuchteten die drei Experten, ausgestattet mit enormem Hintergrundwissen, abwechselnd zentrale Aspekte der NS-Geschichte. Diese begann in Eutin bereits ab dem Jahr 1932, da die Stadt zum Freistaat Oldenburg gehörte, in welchem die NSDAP bereits ein halbes Jahr vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler die absolute Wahlmehrheit errang.
Viele Entwicklungen, wie die Gleichschaltung öffentlicher Vereine und Institutionen, Repressalien gegen politische Gegner und willkürliche Verhaftungen fanden in Eutin bereits früher als in anderen Städten statt. Eine Ursache für den frühen Erfolg der NS-Bewegung in Eutin sieht Oskar Mittag in der damaligen Sozialstruktur: Eutin sei eine Beamtenstadt gewesen, „hier gab es fast keine Industrie, daher auch nur eine zahlenmäßig kleine Arbeiterschaft, und diese war kaum organisiert.“ Darüber hinaus habe es in Eutin sehr geschickte Agitatoren gegeben und die NS-Propaganda sei aufgrund mangelnder Alternativen sehr schnell auf fruchtbaren Boden gefallen. Ernsthafter politischer Widerstand gegen die Nazis regte sich lediglich aus den Reihen der SPD, doch wurde dieser infolge einer Straßenschlacht vom November 1931, im Zuge derer ein SA-Mann zu Tode gekommen war, schnell und brutal zerschlagen.
Ereignisse wie dieses lassen sich noch heute im Stadtbild nachvollziehen, denn die historische Bausubstanz – beispielsweise rund um den Marktplatz, wo sich alle wichtigen Versammlungsstätten politischer Gruppierungen, aber auch die Geschäftsstelle der NSDAP befanden – ist glücklicherweise auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus erhalten geblieben.
An anderen Stellen stoßen die Forscher, wie es Jakob Sperrle formuliert, allerdings immer noch auf „Leerstellen“, da Zusammenhänge noch nicht hinreichend erforscht sind beziehungsweise die Quellenlage unzureichend dokumentiert ist. Dies betreffe beispielsweise die Rolle der Kirche oder die Geschicke der während des Krieges inhaftierten Zwangsarbeiter.
Im Verlauf des Stadtrundgangs bekamen die Teilnehmenden auch immer wieder die Gelegenheit, Nachfragen zu stellen und in einzelne Themenbereiche tiefer einzusteigen, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde. Angesprochen auf den Umgang der Justiz mit den lokalen Tätern des Regimes nach dem Ende der NS-Herrschaft wusste Sebastian Sakautzki etwa zu berichten, dass diese größtenteils freigesprochen oder mit geradezu lächerlichen, „dreijährigen Haftstrafen“ belegt worden waren – ein Indiz dafür, in welchem verheerenden Maße die Ideologie noch bis weit über das Kriegsende hinaus verankert war.
Ein Fazit des als sehr informativ empfundenen Nachmittages zog der Vorsitzende der „Kuhlen Wampen“ auf dem Schloßplatz: „Wenn man hier aus der Geschichte präsentiert bekommt, wie schnell so etwas passieren kann, dann muss das Anlass für uns sein, nicht nur die Historie zu betrachten, sondern auch das, was vor uns liegt.“ Angesichts der heutigen Entwicklungen sei es unabdingbar, eine kritische Erinnerungskultur zu fördern, diese aber auch noch stärker im Stadtbild sichtbar zu machen. Einen wichtigen Beitrag hierzu wird das Stadtrundgänge-Projekt der Gedenkstätte Ahrensbök und des Stadtarchivs Eutin definitiv leisten.
In enger Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Eutin entwickelt die Gedenkstätte Ahrensbök derzeit einen Stadtrundgang mit dem Arbeitstitel „Eutin im Nationalsozialismus 1932 bis 1945“. Das Kooperationsprojekt verfolgt die Zielsetzung, die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit „vor der eigenen Haustür“ zu befördern und dieses dunkle, aber auch wichtige Kapitel der Stadtgeschichte vor Ort erlebbar zu machen. Zu diesem Zweck soll eine Broschüre herausgegeben werden, die es Einwohnern und Gästen Eutins ermöglicht, wichtige Schauplätze aus der Zeit des Nationalsozialismus aufzusuchen und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Orten und Ereignissen zu erhalten. Darüber hinaus sollen zukünftig auch etwa zweistündige, geführte Stadtrundgänge angeboten werden.
Ein erster – im wahrsten Sinne des Wortes – Probelauf fand am Sonntag, 2. Juni, mit einigen Mitgliedern des Motorradclubs „Kuhle Wampe“ aus Kiel statt. Der Verband, dessen Namensgebung nicht etwa auf ausladende Bierbäuche hindeutet, sondern einem am Berliner Müggelsee entstandenen Filmwerk über die Lebensverhältnisse der Arbeitergesellschaft aus der Zeit der Weimarer Republik entlehnt ist, engagiert sich deutschlandweit und international für antifaschistische und soziale Projekte. Entsprechend hoch war somit die Bereitschaft der Clubmitglieder, an diesem gesellschaftlich wichtigen Projekt mitzuwirken.
Geleitet von den Initiatoren Prof. Dr. Oskar Mittag (Mitglied des Trägervereins der Gedenkstätte Ahrensbök), Sebastian Sakautzki (ehemaliger Leiter der Gedenkstätte) und Jakob Sperrle (Stadtarchiv Eutin) führte der erste Rundgang durch das Stadtgebiet. An verschiedenen Orten beleuchteten die drei Experten, ausgestattet mit enormem Hintergrundwissen, abwechselnd zentrale Aspekte der NS-Geschichte. Diese begann in Eutin bereits ab dem Jahr 1932, da die Stadt zum Freistaat Oldenburg gehörte, in welchem die NSDAP bereits ein halbes Jahr vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler die absolute Wahlmehrheit errang.
Viele Entwicklungen, wie die Gleichschaltung öffentlicher Vereine und Institutionen, Repressalien gegen politische Gegner und willkürliche Verhaftungen fanden in Eutin bereits früher als in anderen Städten statt. Eine Ursache für den frühen Erfolg der NS-Bewegung in Eutin sieht Oskar Mittag in der damaligen Sozialstruktur: Eutin sei eine Beamtenstadt gewesen, „hier gab es fast keine Industrie, daher auch nur eine zahlenmäßig kleine Arbeiterschaft, und diese war kaum organisiert.“ Darüber hinaus habe es in Eutin sehr geschickte Agitatoren gegeben und die NS-Propaganda sei aufgrund mangelnder Alternativen sehr schnell auf fruchtbaren Boden gefallen. Ernsthafter politischer Widerstand gegen die Nazis regte sich lediglich aus den Reihen der SPD, doch wurde dieser infolge einer Straßenschlacht vom November 1931, im Zuge derer ein SA-Mann zu Tode gekommen war, schnell und brutal zerschlagen.
Ereignisse wie dieses lassen sich noch heute im Stadtbild nachvollziehen, denn die historische Bausubstanz – beispielsweise rund um den Marktplatz, wo sich alle wichtigen Versammlungsstätten politischer Gruppierungen, aber auch die Geschäftsstelle der NSDAP befanden – ist glücklicherweise auch über den Zweiten Weltkrieg hinaus erhalten geblieben.
An anderen Stellen stoßen die Forscher, wie es Jakob Sperrle formuliert, allerdings immer noch auf „Leerstellen“, da Zusammenhänge noch nicht hinreichend erforscht sind beziehungsweise die Quellenlage unzureichend dokumentiert ist. Dies betreffe beispielsweise die Rolle der Kirche oder die Geschicke der während des Krieges inhaftierten Zwangsarbeiter.
Im Verlauf des Stadtrundgangs bekamen die Teilnehmenden auch immer wieder die Gelegenheit, Nachfragen zu stellen und in einzelne Themenbereiche tiefer einzusteigen, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde. Angesprochen auf den Umgang der Justiz mit den lokalen Tätern des Regimes nach dem Ende der NS-Herrschaft wusste Sebastian Sakautzki etwa zu berichten, dass diese größtenteils freigesprochen oder mit geradezu lächerlichen, „dreijährigen Haftstrafen“ belegt worden waren – ein Indiz dafür, in welchem verheerenden Maße die Ideologie noch bis weit über das Kriegsende hinaus verankert war.
Ein Fazit des als sehr informativ empfundenen Nachmittages zog der Vorsitzende der „Kuhlen Wampen“ auf dem Schloßplatz: „Wenn man hier aus der Geschichte präsentiert bekommt, wie schnell so etwas passieren kann, dann muss das Anlass für uns sein, nicht nur die Historie zu betrachten, sondern auch das, was vor uns liegt.“ Angesichts der heutigen Entwicklungen sei es unabdingbar, eine kritische Erinnerungskultur zu fördern, diese aber auch noch stärker im Stadtbild sichtbar zu machen. Einen wichtigen Beitrag hierzu wird das Stadtrundgänge-Projekt der Gedenkstätte Ahrensbök und des Stadtarchivs Eutin definitiv leisten.