Das Ende einer Ära - Das Traditionsschiff „Norden“ schwimmt nicht mehr im Neustädter Hafen
Neustadt. Es hat sich schon länger angedeutet. Doch spätestens seit dem Sommer dieses Jahres ist klar, dass der Neustädter Traditionssegler „Norden“ große Probleme hat. Der Zahn der Zeit hatte an dem über 150 Jahre alten Boot genagt, und trotz der jahrzehntelang durchgeführten Reparaturen der ehemaligen Eignerfamilie, allen voran von Kapitän Peter Fleck, gab es immer gravierender werdende Schäden. Im vergangenen Juli schließlich drohte das Schiff zu sinken (der reporter berichtete) und nur eine rasch eingeleitete Rettungsaktion mit dem Einsatz von Tauchpumpen konnte das Schlimmste verhindern.
Am gestrigen Dienstag (8. November) waren im Neustädter Hafen zwei große Kräne stundenlang damit beschäftigt, den ehemaligen norwegischen Frachtsegler aus dem Wasser zu heben. Die Freiwillige Feuerwehr sorgte mit einer Ölsperre dafür, eventuell austretenden Kraftstoff aufzufangen.
Auch Kapitän und ehemaliger Schiffseigentümer Peter Fleck befand sich vor Ort, um die Arbeiten zu verfolgen. Für Fleck war es ein schwerer Tag: „Über 35 Jahre lang habe ich auf diesem Schiff gearbeitet und viel Geld investiert. Aber irgendwann geht es nicht mehr. Jetzt machen sie das schöne Schiff kaputt“, sagte Fleck, während er zusah, wie die Fachleute der Kranfirma den Gaffelbaum absägten. Er hatte die „Norden“ vor einiger Zeit verkauft. Der neue Eigentümer wäre verpflichtet gewesen, das Schiff aus dem Wasser zu holen und es instandzusetzen, als es drohte zu sinken. „Wir holen das Schiff jetzt aus dem Wasser, damit es nicht sinkt. Das ist eine reine Ordnungsmaßnahme“, sagte Bürgermeister Mirko Spieckermann, der ebenfalls vor Ort war. Auch die Kosten, die sich nach ersten Schätzungen im fünfstelligen Bereich bewegen dürften, werden erstmal von der Stadt Neustadt gezahlt. Ordnungsamtsleiter Andreas Schneider berichtet, wie die rechtliche Seite aussieht: „Da der Eigentümer alle Fristen verstreichen ließ, hat die Stadt das Schiff nun im Rahmen einer sogenannten Ersatzvornahme aus dem Wasser geholt. Wir werden natürlich versuchen, uns das Geld von dem Eigentümer zurückzuholen“, so Schneider. Bis zuletzt hatten viele Neustädterinnen und Neustädter noch die Hoffnung gehabt, dass die „Norden“ doch noch einen Investor findet. Doch diese Hoffnung hat sich nicht realisiert: „Wir haben ein Gutachten erstellen lassen, das eindeutig besagt, dass das Schiff mit Schimmel befallen und komplett rott ist. Nur die von der Feuerwehr installierten Wasserpumpen haben das Schiff in den letzten Monaten über Wasser gehalten“, sagte Andreas Schneider. Für eine Instandsetzung wäre eine sechsstellige Summe erforderlich, schätzt der Ordnungsamtsleiter. „Wir heben das Schiff jetzt raus und dann wird es leider abgewrackt“, schloss er.
Viele Menschen verfolgten sowohl live vor Ort als auch zuhause über den reporter-Livestream die spektakuläre Aktion. Und auch für viele andere ist das Ende der „Norden“ ein trauriger Moment. Denn viele verbinden mit dem Traditionssegler ein besonderes Heimatgefühl und schöne Erinnerungen. Neben den beliebten Ausfahrten wurden auch zahlreiche Hochzeiten auf dem ehemaligen Frachtsegler vollzogen.
Zur „Norden“:
Die „Norden“ wurde 1870 in Skonevig, Norwegen als Frachtsegler erbaut und tat ihren Dienst bis 1978 als Frachtsegler an der Westküste Norwegens. In mühseliger Arbeit wurde in den Jahren 1978 bis heute das besondere Flair dieses seegängigen Holzschiffs wieder hergestellt. Die alte Lady segelte ganzjährig auf Nord- und Ostsee, dem nördlichen Atlantik und vor den Küsten Frankreichs und Spaniens. Zuletzt hatte die „Norden“ Neustadt zum Heimathafen auserkoren und viele Einheimische und Gäste gingen an Bord, um einen ganz besonderen Segeltörn zu erleben. Das endgültige Aus für die „Norden“ brachte laut einiger Experten auch die Sicherheitsverordnung für Traditionsschiffe, die 2017 vom Gesetzgeber beschlossen wurde. Die größte Kritik an der Verordnung befand, dass man sich nicht darum gekümmert habe, die Sicherheit auf den Traditionsschiffen zu verbessern, sondern vielmehr Vorgaben für Technik und Besatzung aus der Berufsschifffahrt übernommen wurden, die so für die historischen Schiffe mit ehrenamtlicher Crew in der Summe nicht umsetzbar seien.
Der reporter hat am Dienstag die gesamte Aktion per Livecam auf Youtube übertragen. Der Link lautet https://www.youtube.com/watch?v=DXwtjlr5G30. (gm)