Interview mit Wilhelm Lange - Schülerreporter besuchten Stolperstein
Neustadt. Am Sonntag, dem 27. Januar war der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Wir, die Schülerreporter und Teilnehmer der Schülerzeitungs AG der Jacob-Lienau Gemeinschaftsschule, besuchten daraufhin den Stolperstein in der Waschgrabenallee. Dort haben wir Wilhelm Lange getroffen, der uns etwas über den Stolperstein und die Zeit des Nationalsozialismus erzählte. Im Interview haben wir einiges darüber erfahren.
Außerdem hat uns Wilhelm Lange Originaldokumente aus dieser Zeit gezeigt. Im Gedenken an August Heinrich Roßburg haben wir eine Blume dort abgelegt und eine Gedenkminute gehalten. Weil der Stein sehr schmutzig war, sind wir eine Woche später noch einmal dahin gegangen und haben ihn geputzt. Vielleicht fällt er jetzt anderen Menschen wieder mehr auf.
Guten Tag Herr Lange. Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich bin Mitglied der Geschichtswerkstatt Neustadt in Holstein und seit 1984 für die Stadt Neustadt in Holstein in den Bereichen Erwachsenenbildung, Museum Cap Arcona und Archivangelegenheiten tätig.
Wir stehen hier am Stolperstein. Darauf ist zu lesen: „Hier wohnte August Rossburg, Jg. 1881, verhaftet 1944, Aktion Gitter, Neuengamme, Ermordet 19.01.1945.“ Warum heißt dieser Stein Stolperstein?
In diesem Haus, vor dem wir jetzt stehen, hat August Heinrich Roßburg gewohnt. Ein Stolperstein ist eine sogenannte Gedenktafel aus Messing, die in den Bürgersteig eingelassen wird, an der Stelle, an der ein Opfer der NS-Zeit seinen letzten Wohnort hatte. Das heißt so, weil man hier darauf aufmerksam werden soll. Es ist ein Erinnerungsstein.
Wer hat diesen Stein verlegt?
Der Künstler Gunter Demnig verlegt seit 1996 Stolpersteine im In- und Ausland. Dies passiert überall dort, wo es eine „Geschichtsinitiative“ gibt, die begründet nachweisen kann, dass es sich um ein Opfer der NS-Terrorherrschaft handelt.
Wann wurde der Stein verlegt?
Der Stein wurde am 2. März 2012 von Gunter Demnig im Beisein des damaligen Bürgermeisters Henning Reimann, Neustädter Politikern, Menschen der Geschichtswerkstatt, Interessierten und Angehörigen der Familie Roßburg verlegt. Es gab auch eine Ausstellung im Museum zeiTTor dazu.
Wer ist August Heinrich Roßburg?
August Roßburg wurde am 1. Mai 1881 in Neustadt in Holstein geboren. Nach der Schulzeit erlernte er das Handwerk des Müllers. Am damaligen Gartenweg betrieb er eine Räucherei und engagierte sich ab 1905 politisch in der SPD und wurde 1920 Stadtverordneter. Von 1924 an arbeitete er für die Firma J. H. Petersen und war politisch nicht mehr aktiv.
Wo und warum ist er zu Tode gekommen?
Im Zuge der Machtübernahme Hitlers ab 1933 wurde auch die SPD verboten. Die Aktion Gitter, im August 1944 löste eine große Verhaftungswelle aus. Als „Präventivmaßnahme“ wurden mutmaßliche Gegner Hitlers als „Schutzhäftlinge“ in ein KZ gebracht. Heinrich Roßburg kam mit weiteren Neustädtern in das KZ Neuengamme. Trotz mehrfacher Eingaben von Familienangehörigen und Arbeitgebern wurde er zunächst nicht aus der Haft entlassen und verstarb am 19. Januar 1945 an einer Darmerkrankung, so der offizielle Totenschein aus dem Lager Neuengamme.
Wer hat die Verlegung des Stolpersteins veranlasst?
Es ist eine Initiative der Geschichtswerkstatt, gefördert vom Stadtarchiv Neustadt in Holstein und dem Ortsverein der SPD. Die Geschichtswerkstatt ist eine ehrenamtlich arbeitende Initiative, die sich seit 2011 zur Aufgabe gemacht hat, stadtgeschichtliche Themen aufzuarbeiten und die Ergebnisse zu veröffentlichen.
Gibt es noch mehr Stolpersteine in Neustadt in Holstein?
Nein. Stolpersteine nicht. Dies ist der einzige in Neustadt. Aber es gibt hier noch weitere Erinnerungs- und Gedenkstätten, wie zum Beispiel der Cap Arcona Ehrenfriedhof, den jüdischen Friedhof und die Erinnerungsstätte auf dem Gelände der Ameos für die Opfer unter den Psychiatriepatienten.
Gab es noch andere Neustädter, die ins KZ gekommen sind?
Im Zuge der Aktion Gitter 1944 wurden weitere ehemalige Politiker der Opposition nach Neuengamme deportiert, überlebten aber die Lagerhaft bis zur Befreiung im Mai 1945. Es ist davon auszugehen, dass weitere Personen schon nach der Machtübernahme 1933 zumindest kurzfristig in Lager, wie zum Beispiel „Arbeitserziehungslager“, Gestapo-Gefängnisse und so weiter eingewiesen wurden. Nach der Haftentlassung durften diese Personen keinem Menschen über das Erlebte berichten. Auch nach dem Ende der Terror-Regimes der Nationalsozialisten wurde überwiegend geschwiegen.
Warum ist es wichtig, dass wir heute der Menschen gedenken?
In Neuengamme sind die Namen aufgeführt, von denen man weiß, dass sie umgekommen sind. Wenn der Name und die Erinnerung nicht mehr ist, ist alles vergessen. Dann kommen Meinungen auf, die verlautbaren, dass ein Konzentrationslager ja nur ein Arbeitslager war und dass es mal ein paar Verstorbene gab. Menschen mit so einer Meinung wollen alles klein reden.
Wir arbeiten anhand der Originaldokumente über August Heinrich Roßburg argumentativ gegen diese Auffassungen an. Wir ehren die Opfer des Nationalsozialismus und stehen mit unserer Haltung für den Aufbau einer friedlichen, freiheitlichen und demokratischen Welt ein.
Was können wir Schüler tun, damit so etwas nicht wieder passiert?
Es gibt Parteien im rechtsradikalen Spektrum, die Fakten verneinen und damit politisch agieren. Deshalb sitzen wir hier und gucken, welche originalen Dokumente haben wir wirklich vorliegen. Ich habe Euch diese gezeigt, sodass Ihr anschließend denjenigen sagen könnt: „Das stimmt nicht, ich habe die Originale gesehen, die diese Zeit widerspiegeln!“ Jeder der das Gegenteil behauptet, der lügt und betreibt möglicherweise Volksverhetzung.
Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Informationen!
Text: Schülerreporter der Schülerzeitungs AG der Jacob-Lienau Gemeinschaftsschule
Fotos: Heike Rhein
Übrigens: Ein Informationsblatt über den Stolperstein gibt es im Stadtarchiv. Für Fragen steht Wilhelm Lange gerne zur Verfügung. Außerdem bietet er auf Anfrage thematische Führungen für Erwachsene und Schülerinnen und Schüler an. Infos über das größte dezentrale Mahnmal der Welt: www.stolpersteine.eu.