„Man kann die Menschen nicht ewig wegsperren“ - Corona-Auflagen stellen Pflegeheime vor große Herausforderungen
Neustadt. Es ist eine belastende Situation für Angehörige, Bewohner und Personal: Seit fast drei Monaten sorgen Besuchsverbote, Besuchseinschränkungen und eine Fülle an Auflagen zum Schutz vor Covid-19 für gedrückte Stimmung in den Pflegeheimen.
Wir trafen Andrea Nüser, die als Heimleiterin vom DRK-Pflegezentrum am Mühlenblick in Neustadt zwischen den Stühlen sitzt und einerseits die Bewohner vor Corona schützen muss, andererseits aber auch für Kontakte mit den Familien sorgen soll - diese dürfen nämlich ab Montag wieder häufiger stattfinden.
der reporter: Frau Nüser, wie ist die aktuelle Situation, welche Auflagen müssen Sie beachten?
Nüser: Eine Landesverordnung und ein Empfehlungsschreiben vom Robert-Koch-Institut regeln, wie wir mit Besuchen umzugehen haben. Dementsprechend gibt es Regelungen, was die Bewohner dürfen oder nicht, unter welchen Voraussetzungen wir Neuaufnahmen annehmen dürfen oder Bewohner einen Arztbesuch absolvieren dürfen.
der reporter: Gab oder gibt es Covid-19-Fälle im Heim?
Nüser: Nein, glücklicherweise bisher nicht. Aber auch, wenn wir alle unser Bestes geben, sind wir davor natürlich nicht geschützt. Keine Einrichtung kann dafür eine Garantie geben, nicht selbst irgendwann betroffen zu sein.
der reporter: Es gab ja wochenlang keine Möglichkeit, seine Angehörigen im Heim zu besuchen. Bewohner sind seitdem körperlich, aber auch seelisch isoliert. Wie gehen sie damit um?
Nüser: Beim Besuchsverbot war es eine sehr traurige Situation, das hat man den Bewohnern angemerkt. Kein gemeinsames Essen mehr im Speisesaal, keine Veranstaltungen mehr, Kontaktverbote. Die Leute sind trauriger und das Lachen fehlt oft. Besonders traurig ist das für unsere dementen Bewohner, die mit der Situation überhaupt nicht umgehen können, weil sie es nicht verstehen. Das ist nicht einfach. Aber wir haben von Anfang an unseren Bewohnern einen Fensterkontakt ermöglicht. Angehörige können sich nach Anmeldung an das Fenster setzen, welches auf Kippstellung steht. Dahinter sitzt der Bewohner und kann sich so gefahrlos austauschen.
der reporter: Wie läuft denn ein Besuch neben den Fensterkontakten jetzt ab, was muss man beachten?
Nüser: Besuche müssen telefonisch angemeldet werden. Wir tragen den Termin im Kalender ein. Der Besucher macht sich an dem Tag am Haupteingang an der Klingel bemerkbar, wird abgeholt, muss sich desinfizieren und eine Maske aufsetzen. Dann geht es bei geöffnetem Fenster in den Wintergarten, wo sich Besucher und Bewohner, getrennt von einer Plexiglasscheibe, treffen können. Dabei muss dann kein Mundschutz mehr getragen werden. Für jeden Besuch hat man ungefähr eine Stunde Zeit. Zimmerkontakte sind noch nicht erlaubt, nur bei sehr kritischen Situationen. Dann darf aber nur ein Familienmitglied mit Schutzanzug und Abstand rein - nicht die ganze Familie.
der reporter: Welche Lockerungen wären jetzt möglich? Ältere Menschen bleiben ja weiterhin die gefährdetsten.
Nüser: Für uns sind Lockerungen kaum umsetzbar. Durch die Fülle an Auflagen ist es bislang noch nicht möglich, für 78 Bewohner allgemeine Besuche zeitgleich zu koordinieren. Da kann man unmöglich allen gerecht werden. Wir kommen jetzt schon auf 70 bis 80 Kontakte in der Woche.
der reporter: Das hört sich alles sehr belastend an - für alle Seiten. Aber eine Entspannung ist ab Montag in Sicht, zumindest für die Bewohner?
Nüser: Auf der einen Seite bleibt es für uns bis zu einem Impfstoff wichtig, so wenig Kontakte wie möglich von außen zu haben, um die Bewohner und das Personal gesund zu halten. Andererseits sehen wir ganz klar, dass die Besuche und Kontakte zu den Angehörigen gebraucht werden. Wie wir das beides unter einen Hut bringen wollen, halte ich für richtig schwer. Aber man kann die Menschen nicht ewig wegsperren. Das funktioniert nicht. Die Situation ist unwahrscheinlich belastend und sorgte bei vielen von uns für schlaflose Nächte. Eine große Verbesserung schafft eine neue Regelung, dass ab dem 15. Juni jeder Bewohner täglich einen Besucher in seinem Zimmer oder im Garten empfangen darf. Eine Terminvereinbarung ist aber weiterhin erforderlich.
der reporter: Vielen Dank für das Gespräch. (ab)