Petra Remshardt

Die wichtigsten Fragen zur Bundestagswahl

Was sind die großen Themen, welche Lösungen gibt es? Gemeinsam mit dem Recherchezentrum Correctiv beantwortet der reporter in einer siebenteiligen Serie bis zum 26. September die wichtigsten Fragen zur Wahl - kompakt und verständlich. Diese Woche: Zuwanderung.
Ist Deutschland ein Einwanderungsland?
Ja und Nein. Seit mehr als 30 Jahren betonen Politiker und Politikerinnen immer wieder, das Deutschland kein Einwanderungsland sei. Dass man Deutschland nicht mit Australien oder Kanada vergleichen könne. Damit wollen sie sagen: Eigentlich sind die Grenzen zu. Eigentlich kann niemand irgendwo auf der Welt sagen: „Ich möchte gern nach Deutschland ziehen“, anschließend einen Antrag stellen und kurz danach den Umzugscontainer bestellen.
Andererseits kommen aber jedes Jahr zwischen einer und zwei Millionen Menschen nach Deutschland. Viele davon benötigen übrigens auch gar keinen Antrag und keine Erlaubnis: Sie stammen aus der EU. Innerhalb der EU darf jeder und jede da wohnen und arbeiten, wo er oder sie will. Faktisch ist Deutschland also ein Einwanderungsland, ob man es nun so nennt oder nicht.
Deutschland ist aber auch ein Auswanderungsland: Studierende kehren nach dem Examen oft zurück, ein Teil der Bürgerkriegsflüchtlinge geht nach einem Krieg wieder in die Heimat, manche EU-Bürger ziehen für den nächsten guten Job in ein anderes Land, und so weiter. Und einige Facharbeiter ziehen wieder weg, wenn ihr Projekt beendet ist.
Braucht Deutschland überhaupt Einwanderung?
In Deutschland fehlen derzeit rund 270.000 Fachkräfte. Fast ein Viertel aller Betriebe in Deutschland gibt an, der Mangel an Fachkräften schade schon jetzt ihrem Geschäft. Für diesen Mangel gibt es mehrere Gründe: Manche Jobs werden einfach nicht gut genug bezahlt, sie sind nicht sehr attraktiv. Der Hauptgrund aber ist ein anderer: Es gibt in Deutschland deutlich mehr ältere als jüngere Menschen. Wenn die Alten in Rente gehen, werden mehr Stellen frei als von den Jüngeren nachbesetzt werden können. Genau das passiert seit Jahren - und weil jetzt die besonders geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird das Problem noch größer. Die Lösung: Junge Menschen aus dem Ausland nach Deutschland locken und hier in den Mangelberufen beschäftigen.
In den Krankenhäusern und Altenheimen sähe es ohne Zuwanderung übel aus. Dort arbeiten bereits jetzt um die 13 Prozent ausländische Kräfte, die Hälfte davon kommt aus der EU, die andere Hälfte vor allem aus Osteuropa. Trotzdem können in den Pflegeberufen tausende Stellen nicht besetzt werden - es gibt zu wenig Leute im Land.
Wie kann man Fachkräfte anwerben?
Es geht längst nicht mehr um die Frage, ob Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland benötigt - es geht darum, wie man sie zu uns locken kann. Denn auch andere europäische Staaten brauchen Pfleger und Pflegerinnen, Rettungskräfte, medizinisches Personal, außerdem Mathematiker, Naturwissenschaftlerinnen, IT-Spezialisten oder Fachkräfte für den Bau. Die frühere strenge Haltung Deutschlands („Wir sind kein Einwanderungsland“) hat sich deshalb geändert. Es gibt mittlerweile ein Facharbeiter-Einwanderungsgesetz. Wer einen der besonders gesuchten Berufe hat, kann schneller an eine Aufenthaltsgenehmigung kommen. Unter Umständen darf man sogar einreisen, ohne überhaupt schon einen Job zu haben. Für die Suche hat man dann sechs Monate Zeit. Es ist auch leichter geworden, die Ausbildung anerkannt zu bekommen - aber es kann immer noch sehr kompliziert sein.
Bei den besonders gefragten Pflegeberufen sucht Deutschland übrigens nicht weltweit: Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Liste mit 57 Staaten, aus denen keine Ärztinnen oder Pfleger abgeworben werden sollen. Dort würde andernfalls das Gesundheitssystem zusammenkrachen.
Wie lässt sich Zuwanderung begrenzen?
Deutschland liegt mitten in Europa. Es hat gemeinsame Grenzen mit neun anderen Staaten. Diese Grenzen sind prinzipiell offen, schließlich lebt Deutschland davon, dass Menschen und Waren schnell und unkompliziert über die Grenze kommen. Das kann man nicht einfach dicht machen.
Die Erfahrung zeigt außerdem: Menschen lassen sich durch Zäune oder Verbote nicht abhalten. Sie riskieren ihr Leben bei der Überfahrt übers Mittelmeer, sie zahlen ein Vermögen an Schlepperbanden. Kurz: Wer unbedingt kommen will, wird es immer wieder versuchen.
Viele Migranten und Migrantinnen beantragen politisches Asyl. In dem Fall kann man zumindest so lange im Land bleiben, bis der Antrag geprüft ist. Deshalb bewarben sich auch Menschen um Asyl, die eigentlich eher vor der Armut geflohen sind. Verglichen mit allen anderen Zuwanderern ist die Zahl der Asylsuchenden zwar relativ gering - aber der politische Streit war immer groß.
Zuwanderung lässt sich nicht stoppen, sie lässt sich aber steuern. Zumindest teilweise. Eine Möglichkeit wäre, etwas gegen die Ursachen von Flucht zu tun. Das dauert aber, es ist teuer, und den Erfolg kann man schlecht messen. Andere Möglichkeit: Nicht länger behaupten, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist - sondern Regeln aufstellen, wer kommen kann und unter welchen Bedingungen. Mehr legale Möglichkeiten schaffen, also mehr Ausbildungen fördern und am Ende mehr Fachkräfte ins Land lassen - oder solche, die es werden wollen.
Muss ich Angst vor Überfremdung haben?
„Überfremdung“ ist so ein Begriff, mit dem vor allem Emotionen geweckt werden sollen. In „Überfremdung“ steckt drin, dass es eine feste Grenze geben könnte: Bis hierhin ist es okay, aber eine Familie mehr, und man fühlt sich überfremdet. So eine Grenze gibt es nicht. Ängste sind individuell verschieden. In vielen Umfragen kommt immer wieder heraus, dass die Menschen dort am meisten Angst vor Zuzug haben, wo vergleichsweise wenige Ausländer wohnen. Wer bereits Erfahrung im Zusammenleben mit Migranten hat, der macht sich im Schnitt auch weniger Sorgen.
Da die Zahl der Zuwanderung insgesamt sinkt, und die Zahl der Asylbewerber ebenfalls, kommt es für die Politik der nächsten Jahre nicht darauf an, die Zahl noch weiter zu drücken. Es kommt darauf an, verlässliche Regeln für die Zuwanderung zu schaffen und die Integration zu verbessern. Wer sich integriert, ist nicht mehr fremd. (red)
*Correctiv ist ein gemeinnütziges Medium und steht für investigativen Journalismus. Die vielfach ausgezeichnete Redaktion deckt systematische Missstände auf, prüft Falschmeldungen im Netz und fördert Medienkompetenz mit eigenen Bildungsangeboten. Sorgfältig recherchierte Informationen stärken öffentliche Debatten und geben Orientierung im Wahlkampf.


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