

„Ich war ein wildes Kind, sportlich, neugierig, Haushaltskram interessierte mich nicht. Mein Interesse galt der Deutschen Fußballnationalmannschaft.
An der Wand in meinem Kinderzimmer klebten die Knorr Suppen - Karten mit meinen Fußballidolen von 1964.
Von dem Trainer Helmut Schön, dem Torhüter Hans Tilkowski, von Franz Beckenbauer, Karl-Heinz Schnellinger, Sepp Piontek, Helmut Haller, Günter Netzer, Wolfgang Overath und natürlich von Uwe Seeler. Für ihn schlug mein Herz ganz besonders.
Das Weihnachtsfest war vorbei und wieder stand ein Geburtstag an, mein eigener, mein 12ter. Immer hatte ich das Datum bedauert: zwischen den Jahren, am 29. Dezember.
In jenem Jahr nahm mich meine Mutter zur Seite. Ihr Blick war traurig als sie mir erklärte, dass sie es nicht geschafft hatte, für meinen Geburtstag Geschenke einzukaufen.
Obwohl es damals noch keine Geschenkeflut gab, hatte das Weihnachtsfest unserer vielköpfigen Familie sie diesmal wohl überfordert.
So gab sie mir Geld in die Hand und bat mich, mir selbst etwas zu kaufen.
Niemals zuvor hatte ich vor meinem Geburtstag von einem Geschenk gewusst und niemals zuvor hatte ich so viel Geld in der Hand gehabt.
Ich vergewisserte mich, dass ich es ganz nach meinem Wunsch ausgeben dürfe, egal, was ich mir aussuchte.
So machte ich mich, mit einem ganz ungewohnten Gefühl, das Spannung und Freude vereinte, auf den Weg in die Innenstadt. Ausgiebig sah ich mir die Schaufenster an, stand vor dem kleinen Spielzeuggeschäft und vor der Buchhandlung. In unserer Familie haben Bücher einen hohen Stellenwert und ich hatte früh begonnen sie zu lieben.
In der überfüllten Auslage entdeckte ich ein vertrautes Gesicht. Das Buch zeigte in einem blau-weiß-schwarzen Schutzumschlag mein Idol Uwe Seeler, und der Titel lautete: „Alle meine Tore“.
Er war nicht nur ein ganz besonderer Vollblutstürmer mit legendären Toren, er war auch ein bodenständiger Mensch, geradlinig, grundehrlich und freundlich und wir nannten ihn „Uns Uwe“.
Mein Herz schlug schneller, doch der Preis war hoch, es würde kaum etwas übrig bleiben für weitere Geschenke.
So betrat ich den Spielzeugladen. Stifte in besonderen Farben und ein Sortierkasten mit vielen verschiedenen Perlen zogen mich magisch an.
Wie lange würde ich malen können, welch wunderschöne Kette würde ich mir auffädeln können, und dazu noch ein Armband. Ich sah mich weiter um, aber immer wieder zog es mich zu den Stiften und zu den Perlen.
Doch tief in mir meldete sich ein anderer Wunsch, leise aber beharrlich, und so verließ ich das Spielzeuggeschäft und stand kurz darauf wieder vor dem
Uwe Seeler-Buch, betrachtete den Preis, rechnete, und dann kaufte ich es.
Für die Perlen oder die Stifte reichte das Geld nicht mehr und so suchte ich mir im Spielzeugladen zwei kleine Teile aus. Ich wusste, meine Mutter würde über nur ein Geschenk nicht glücklich sein.
Voller Vorfreude stand ich an meinem Geburtstag auf, bekam eine Torte, mein besonderes Buch und dann, ganz unerwartet, ein längliches Päckchen.
Als ich es öffnete, da kam eine Schachtel mit bunten Perlen zum Vorschein. Wie glücklich war ich an jenem Geburtstag.
Das Buch las ich Wort für Wort, begeistert von einem Sportler, der auch später, trotz seiner sportlichen Erfolge und seiner Prominenz, eines immer blieb: „ein außergewöhnlich normaler Mensch“, „ein Vorbild für Generationen“.
Die Perlen sind längst verloren gegangen, das Buch, das mich in meiner so wichtigen Zeit des Erwachsenenwerdens begleitete, ich habe es immer noch, trotz der neun Umzüge, immer noch: seit 56 Jahren.
Als ich viele Jahrzehnte später die Geschichte des Buches aufschrieb, tat ich, woran ich so oft gedacht hatte: Ich schickte an die Uwe-Seeler-Stiftung in Norderstedt eine Anfrage, auf die ich eine positive Antwort bekam.
Wenige Tage später hielt ich mein Buch wieder in Händen, persönlich signiert, von dem inzwischen 85-jährigen Uwe Seeler.“ Karin Janke