Marlies Henke

„Gestern kam die erste Locomotive an“ In drei Stunden von Neustadt nach Neumünster – Erste Eisenbahn fuhr vor 150 Jahren

Neustadt. Gestern vor 150 Jahren, am 17. Mai 1866, wurde Neustadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Erstmalig verband die Eisenbahn an diesem Tag in durchgehender Fahrt die Städte Neumünster und Neustadt. Am nächsten Morgen bejubelte das Neustädter Wochenblatt diese Probefahrt: „Gestern kam die erste Locomotive auf unserm Bahnhof an.“ Am 31. Mai eröffnete die Altona-Kieler Eisenbahn-Gesellschaft dann offiziell die „Ostholsteinische Eisenbahn“ von Neumünster über Ascheberg - Plön - Eutin nach Neustadt mit dem Abzweig von Ascheberg nach Kiel. Und ab dem 1. Juni 1866 verkehrten „täglich zwei combinirte Personen- und Güterzüge hin und zurück“. Es gab drei Wagenklassen. Die Höchstgeschwindigkeit betrug bemerkenswerte 45 Kilometer pro Stunde.
 
Der Bau dieser Eisenbahnlinie war bereits 1845 propagiert worden. Ein Jahr zuvor hatte die Altona-Kieler Eisenbahn-Gesellschaft die erste Bahnlinie in Schleswig-Holstein überhaupt eröffnet: die Hauptstrecke zwischen Altona und Kiel unter dänischer Hoheit. Verschiedene Zollbestimmungen und unterschiedliche Interessen von Dänemark, Altona, Hamburg, Kiel und Lübeck hatten aber überwunden werden müssen, bis die Linie nach Neustadt endlich Wirklichkeit werden konnte.
 
Gefeiert wurde in relativ bescheidenem Rahmen. Man verzichtete bei der Eröffnungsfahrt auf die üblichen großen Festakte mit Sonderzügen und Hurra-Rufen, wohl wegen der heiklen politischen Lage. Der Deutsch-Dänische Krieg lag nicht einmal zwei Jahre zurück. Nach einer vorübergehenden österreichisch-preußischen Gesamtherrschaft strebte Preußen inzwischen die Annexion Holsteins an. Und so machte sich am 25. Mai 1866 nur ein Inspektionszug mit einigen Technikern, Bahndirektoren und Regierungsräten auf den Weg nach Neustadt. Am Tag darauf schrieb das Neustädter Wochenblatt: „Dieser Zug ging morgens 8.30 Uhr von Neumünster ab und traf um 11.30 Uhr in Neustadt ein. Hier war zu Ehren des Tages und der ankommenden Gäste Bahnhof und Stadt festlich mit Flaggen, Guirlanden und Kränzen geschmückt. Das Dampfschiff Neustadt nahm die geschätzten Gäste in der Nähe des Bahnhofs auf, um mit ihnen eine kleine Tour in See zu machen, legte dann in der Nähe des Badehauses an, wo Festgenossen aus Stadt und Umgebung sich zahlreich eingefunden hatten, um bei vorher arrangirtem Frühstück eine Stunde gemütlich mit den Gästen zu verkehren. Toaste mancherlei Art würzten das heitere Mahl.“
Mit der Eisenbahn begann eine Verkehrsrevolution, die den Aufbruch in das industrielle Zeitalter markierte und in Neustadt vor allem den Untergang der Handelsflotte einläutete. Im Jahr 1863 waren noch 24 Schiffe und 17 verschiedene Reeder in Neustadt beheimatet, 1885 registrierte man nur noch sechs Schiffe. Die Eisenbahn veränderte auch den Alltag vieler Menschen in kürzester Zeit. Schon am 12. Juni berichtete das Neustädter Wochenblatt: „Auf der neuen holsteinischen Eisenbahn entwickelt sich bereits ein recht lebhafter Personen- und Güterverkehr. Die noch restirenden Arbeiten an der selbigen schreiten rasch vorwärts und unser Bahnhof mit Umgebung gewinnt täglich ein besseres Ansehen. Derselbe ist namentlich des Abends bei Ankunft des letzten Zuges so bevölkert wie ein Jahrmarkt. Man will von den ankommenden Reisenden noch immer das Neueste von dem Neuen erfahren, und die Leichtgläubigkeit wird dann häufig auch nach ihrem Wunsche bedient. Haarsträubende Geschichten werden erzählt, in den Wirtshäusern weiter verarbeitet und zehnmal vergrößert mit ins Nachtquartier genommen.“ (he)
 
Literaturempfehlungen zu diesem Thema, die zugleich als Quellen dienten: Koch, J.-H.: „Neustadt in Holstein“ und „Das neue Neustadt-Buch“, Lorenzen-Schmidt, Lange, Ulrich (Hrsg.): „Geschichte Schleswig-Holstein – Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Paul, Gerhard (Hrsg.): „Geschichtsumschlungen - Sozial- und kulturgeschichtliches Lesebuch Schleswig-Holstein 1848-1948“, das „Neustädter Wochenblatt“ sowie die Webseite der „Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte“ und Wikipedia. (he)


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