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Eutin (aj). Die Scham ist immer noch ein Thema. In Zeiten, in denen vermeintlich die große Offenheit regiert, fehlen vielen Menschen die Worte, um über Demenz zu sprechen. Betroffen ist eine wachsende Zahl von Menschen, und die Diagnose verändert nie das Leben nur einer Person, auch die Welt der Angehörigen steht Kopf, wenn Gedächtnis und Persönlichkeit ins Wanken geraten. Dafür, die Demenz in ihren vielfältigen Krankheitsbildern in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und damit auch den Zugang zu den zahlreichen Hilfsangeboten zu erleichtern, engagieren sich in Eutin mehrere Institutionen.
Um die Angebote, die es bereits gibt, bekanntzumachen und sich untereinander besser zu vernetzen, haben die Alzheimer Gesellschaft Ostholstein und das Sankt Elisabeth Krankenhaus (SEK) den Welt-Alzheimertag zum Anlass genommen, für den kommenden Sonnabend, 23. September, einen Markt der Möglichkeiten zu organisieren. Von 9 bis 12 Uhr stehen eingangs der Peterstraße, also direkt am Wochenmarkt, Ansprechpartner*innen bereit und freuen sich darauf, Fragen zu beantworten, erste Tipps zu geben, Angebote zu erläutern - ohne Anmeldung, ohne Wartezeit, ohne Verpflichtung. Ein bisschen “action” ist auch geplant: In einem Alterssimulationsanzug bekommt man eine Ahnung davon, wie es sich lebt, wenn die körperliche Mobilität eingeschränkt ist, ein Demenz-Parcours stellt Alltägliches wie Autofahren oder Kaffeetrinken in den Fokus. Und natürlich ist dieser Markt auch eine Kontaktbörse, bietet geballte Information zu Hilfsmitteln und Unterstützung.
“Viele Menschen wissen gar nicht, was ihnen zusteht, auch finanziell”, diese Erfahrung macht Dorit Ernst immer wieder. Sie berät Menschen am Pflegestützpunkt Ostholstein und der wird am Sonnabend vor Ort sein. Genau wie der Sozialverband Ostholstein, die Hospizinitiative Eutin, das Pflegeheim Pro Talis, das Alloheim Auetalblick Malente und das Alloheim Godenbergschlösschen Malente, die Diakonie Ostholstein, das Netzwerk mitten-drin Ostholstein, der Verein zur Förderung der Teilhabe in Ostholstein sowie der Betreuungsverein Ostholstein. Allen gemeinsam ist: Sie gehen täglich mit dem Thema um, wissen um die Vielfalt der Probleme, die damit verknüpft sind. Und sie kennen Wege, wie das Leben mit der Krankheit erleichtert werden kann - für alle Beteiligten. Die Schirmherrschaft über diesen ersten Markt der Beratungs-Möglichkeiten hat Bürgermeister Sven Radestock übernommen - als Repräsentant einer Stadt, die Christian Burgdorf von der Alzheimer Gesellschaft und Kristina Kalthegener vom SEK im Zusammenwirken zu einer Demenzfreundlichen Kommune entwicklen möchten. Und als Sohn einer Mutter, die an Demenz erkrankt war: “Diese Veranstaltung soll dazu beitragen, dass die Angehörigen merken: Sie können und dürfen sich helfen lassen”, unterstrich Radestock bei der Präsentation des Programms. Er kennt das Verheimlichen, die Veränderung, die Aggression und das Verschwinden aus eigenem Erleben, hat gesehen, was all dies auch für den Vater bedeutet hat: “Wenn ich mehr über die Demenz gewusst hätte, hätte ich mit vielem anders umgehen können, das hätte Kraft gespart, die man so dringend braucht”, so Radestock. Seine Offenheit ist beispielgebend für einen unverkrampften Dialog, in dessen Verlauf sich nicht selten die Erkenntnis ergibt: Anderen Menschen geht es genauso. Eine Erkenntnis, die aus der Isolation heraushelfen kann, eine Teilnahme am Leben außerhalb von Wohnung oder Pflegeheim möglich macht. Oder einfach nur ermutigt, über das zu sprechen, was so schwer auszuhalten ist. Auch das hilft, wie Christian Burgdorf schildert. Er betreut unter anderem ein Ehepaar, die Frau leidet an Demenz: “Manchmal reden wir einfach nur.”
Mit dem “Reden” wächst das Verständnis und das ist nicht nur für die Familien und Betreuenden wichtig: “Auch in der Stadtverwaltung oder im Sanitätsdienst muss man wissen, wie man mit einem Menschen umgeht, der an Demenz erkrankt ist”, erläutert Kristina Kalthegener.
Deshalb seien auch in diesen Bereichen Schulungen geplant. Denn Demenz ist weit mehr als Vergesslichkeit. Und sie ist kein Nischen-Phänomen: In Ostholstein sind weit über 5.300 Menschen an einer Demenz erkrankt. Das sind etwa 1.300 mehr als im Jahr 2016. In Eutin liegen die bekannten Zahlen zwischen 500 und 600. Die meisten von ihnen werden zu Hause betreut. Das Netzwerk, das den betroffenen Familien den Rücken stärkt, kann also gar nicht groß genug sein. Der Markt der Beratungs-Möglichkeiten ist einer von vielen Bausteinen, sich dem Thema anzunähern.