Das letzte Küken kann fliegen
Sehlendorf (t). Ende August machte sich bei den Naturschutzgebietsbetreuern vom NABU am Sehlendorfer Binnensee Entspannung breit. Wieder einmal, mittlerweile zum 18. Mal, ist ein Jahr Flussseeschwalbenschutz zu Ende gegangen und die Vögel beginnen mit ihrem Zug nach Südwestafrika. Bereits seit dem 2007 kümmern sich ehrenamtliche NABU-Helfer um Brutflöße für die agilen Fischjäger, insgesamt sehr erfolgreich, jedoch gab es auch einige Rückschläge.
„In diesem Jahr sind so viele Nachkommen groß geworden wie noch nie“, freut sich Jürgen Hicke, seit zehn Jahren einer der Schutzgebietsbetreuer des Naturschutzgebietes. „Begonnen mit dem Einsatz von Brutflößen hat allerdings mein Vorgänger, der langjährige Betreuer des Gebietes Lothar Sielmann. Er hatte erkannt, dass die Flussseeschwalben, die eigentlich gerne auf dem Boden am Strand oder in Strandnähe brüten, dort keine Chancen mehr gegen die zunehmenden Prädatoren wie Füchse, Marder und Marderhunde hatten“. Die Lösung waren schwimmende Flöße aus Holz, die mit einer Kiesschicht bedeckt etwa 20 Meter vom Ufer entfernt verankert wurden. Bereits nach drei Tagen hatten zehn Vögel das erste Floß angenommen, wie Hicke einem Tagebucheintrag seines Vorgängers vom 28. Mai 2007 entnommen hat. Von da an begann eine Erfolgsgeschichte, aber auch unendlich viel Arbeit. Neue Floßelemente wurden in ehrenamtlicher Arbeit gebaut, um die Brutfläche zu vergrößern sowie alte abgängige zu ersetzen. Jedes Jahr im Herbst mussten die Flöße mit professioneller Hilfe an Land gebracht, zerlegt und eingelagert werden. Im Frühjahr, vor der Ankunft der Flussseeschwalben in der zweiten Aprilhälfte, wurden die Elemente repariert, wieder zusammengebaut und zu Wasser gelassen.
Ständige Nachbesserungen erforderlich
Die NABU-Helfer sammelten über die Jahre ständig neue Erfahrungen, daher wurde die Floßkonstruktion laufend modifiziert. Wellenbrecher wurden montiert, um die brütenden Vögel, insbesondere Küken, bei starkem Wellengang vor Duschen zu schützen. Später wurden Aufstiegsrampen ergänzt, damit ins Wasser gefallene Jungvögel wieder zurück auf die Flöße klettern konnten. Doch leider erkannten dies auch die bekanntlich schlauen Füchse und raubten nachts die Seeschwalben-Küken von den Flößen, auch Waschbären hatte man im Verdacht. Also wurden die Rampen wieder entfernt und die Flöße wurden mit einer nach außen geneigten Drahtkonstruktion versehen. Doch selbst eine modifizierte Drahtkonstruktion wurde offensichtlich von Wachbären überklettert, was zu mehrfach starken Verlusten unter den noch nicht flugfähigen Küken führte.
Mit einer Neukonstruktion zu effektivem Schutz
Im Laufe der Jahre setzten den Holzflößen aus der Ostsee eingeströmte Schiffsbohrwürmer, eigentlich eine Muschelart, verstärkt zu. Diese Bohrwürmer verursachen in der Ostsee bis nach Rügen Millionenschäden an Seebrücken und Buhnen. Im Jahr 2019 „erfanden“ die NABU-Schutzgebietsbetreuer in Zusammenarbeit mit der Naturschutzbehörde daher eine neue Floßkonstruktion aus schwimmfähigen Kunststoffwürfeln, die zu einer Plattform zusammengefügt werden. Hicke erläutert: „Wir haben mit vereinten Kräften herumgetüftelt und schließlich eine Konstruktion entwickelt, die ausgesprochen gut funktioniert“. Rund um die beiden Flöße dieser Bauart wurde eine nach außen geneigte Umrandung aus Aluminiumblechen montiert, die Prädatoren abhalten soll. Mit Erfolg, denn seitdem gibt es keine Verluste durch Landprädatoren mehr. Allerdings gab es in zwei Jahren nächtlichen Besuch eines Uhus, der zahlreiche Küken raubte. Der Schutzgebietsbetreuer erläutert: „Eigentlich sind die Flussseeschwalben als Koloniebrüter ausgesprochen wehrhaft und verteidigen ihre Brut, indem alle Vögel gemeinsam aufsteigen und Greifvögel oder Großmöwen mit ihren spitzen Schnäbeln verjagen. Gegen einen nachts lautlos anfliegenden Uhu sind sie allerdings machtlos“. Die Flöße wurden daher seitdem mit aus Pflanzsteinen zusammengesetzten Betonröhren nachgerüstet, in denen die Küken Schutz finden.
Eine Beinahe-Katastrophe
Im Februar 2021, nach einer starken Sturmnacht und bei Eisgang, blieb den NABU-Leuten allerdings fast das Herz stehen, denn die Flöße waren verschwunden. Sturm und das damit einhergehende Hochwasser hatten die Ankerketten gesprengt und die Flöße am gegenüberliegenden Ufer in eine Schilffläche geschwemmt. Noch am selben Tag verankerten NABU-Helfer die Flöße zunächst, um zu verhindern, dass sie bei ablaufendem Wasser in die Ostsee gespült werden. Hicke erinnert sich: “Wir waren klatschnass und vom eisigen Wasser durchgefroren und auch die nachfolgenden Bergungsarbeiten waren extrem anstrengend“. Die tonnenschweren Brutföße lagen, nachdem das Wasser wieder abgelaufen war, etwa 20 Meter von der Wasserkannte entfernt auf dem Trockenen und mussten mühsam mit einer Handseilwinde Meter um Meter zum Wasser gezogen werden. Nachdem der in Eimer und Wannen gefüllte Kies wieder aufgetragen war, schoben Helfer die Flöße bei Schneesturm durch den flachen See zurück an ihren Platz.
Eine Erfolgsgeschichte mit viel Einsatz
Insgesamt sei der Flussseeschwalbenschutz am Sehlendorfer Binnensee eine Erfolgsgeschichte, so das Fazit des NABU-Betreuers. Die letzten drei Jahre seien sehr erfolgreiche Brutjahre gewesen, mit steigender Tendenz. In diesem Jahr seien deutlich über 70 junge Flussseeschwalben groß geworden. Voriges Jahr konnte die Brutkolonie um drei weitere Flöße aus einem EU-geförderten BetterBird-LIFE Projekt erweitert werden. Die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein und der NABU haben den Aufbau dieser neuen Flöße gemeinsam organisiert.