Kindern der ermordeten Mutter droht Rückführung: Pflegeeltern berufen sich auf Kindeswohl – heute Gespräch in Eutin
Ratekau. Im Oktober letzten Jahres ereignete sich in einem Asia-Imbiss in Bad Schwartau Schreckliches. Vor den Augen seiner Kinder tötet der Imbissinhaber ihre Mutter auf brutale Art und Weise. Zehn Jahre Haft lautet das Urteil. Die vier Geschwister im Alter von zwei, vier, acht und zwölf Jahren werden unmittelbar nach der Tat auf drei Familien in Ratekau aufgeteilt, die in enger Nachbarschaft zueinander in ihren Pflegefamilien leben und so ständig familiären Kontakt zueinander haben.
Als wäre das Erlebte für die vier vietnamesischen Kinder noch nicht schlimm genug, droht jetzt der nächste Albtraum. Die Kinder haben sich dem Vernehmen nach bei ihren Pflegefamilien gut eingelebt, fühlen sich dort wohl und sind in ihren sozialen Umfeldern wie Kindergarten oder Schule voll integriert. Dennoch hat der Kreis Ostholstein jetzt entschieden, dass sie zurück nach Vietnam gebracht werden sollen. Und das, ohne dass es dort ein intaktes familiäres Umfeld gibt und die Kleinsten, nicht einmal die vietnamesische Sprache sprechen. Wahrscheinlich ist auch, dass die Geschwister, die in dieser „Ratekauer Konstellation“ eng zusammengewachsen sind und sich gegenseitig Halt geben, nun voneinander getrennt werden. Am vergangenen Wochenende wurde der Fall medial bekannt und sorgte für großes Aufsehen.
Montagabend fand im Bürgersaal des Ratekauer Rathauses die jüngste Sitzung des Ausschusses für Soziales, Kultur- und Seniorenangelegenheiten statt. Eltern der drei Pflegefamilien nutzten hier die Gelegenheit, ihre Sorgen vorzutragen und den Verbleib der Kinder in Ratekau zu fordern. Hintergrund ist ein Treffen von Ratekaus Bürgermeister Thomas Keller mit Ostholsteins Landrat Timo Gaarz, die sich zu dieser Angelegenheit am heutigen Mittwochmorgen noch einmal austauschen wollen.
Anja Kemeny war mit ihrer 12-jährigen Pflegetochter Ahn (Name geändert) in den Bürgersaal gekommen, schilderte in aller Ausführlichkeit die Sachlage und kritisierte, dass Nicht-Handeln der zuständigen Ämter und Behörden. „Ich habe teilweise viermal in der Woche dort angerufen, wurde aber mit der Antwort, Ahn ist erst 12 Jahre alt und hat keinen Vormund, abgewiesen. Mit Ahn selbst hat niemand gesprochen.“
Unter Tränen nahm das junge Mädchen schließlich ihre ganze Kraft zusammen und las den Ausschussmitgliedern einen Brief vor, den sie selbst verfasst und an einen für sie zuständigen Richter gesendet hatte. Darin bittet sie inständig darum, weiterhin in ihrer jetzigen Familie und in der Nähe ihrer Geschwister in Deutschland bleiben zu dürfen.
Hoffnung konnte ihr Thomas Keller allerdings nur wenig machen, und verwies auf zwei Sichtweisen, die er berücksichtigen müsse. Seine persönliche, aber auch die des Verwaltungsbeamten. „Rechtlich handelt der Kreis völlig korrekt. Und wir können da wenig unternehmen. Zumal wir als Gemeinde nicht das ausführende Organ sind“, sagte er.
Darin waren sich auch die Vertreter der drei Pflegefamilien mit ihm einig. Einigkeit herrschte aber auch zwischen den Ausschussmitgliedern Corina Harnack (BfG), Gunda Klüver und Mareike Baum (beide SPD) mit dem Pflegevater Matthias Steinebach. „Recht soll auch Recht bleiben. Aber Deutschland hat in den 1990er Jahren die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und darin ist festgehalten, dass Kindeswohl über geltendem Recht stehe. Und in diesem Fall hier liegt das Kindeswohl doch eindeutig in Deutschland und nicht in Vietnam“, sagte er.
Die Ausschussvorsitzende Gaby Braune (Grüne) versicherte als Mitglied des Kreistages, dass sich auch dieser bereits mit dem Thema befasse und kündigte Unterstützung an. Mit kurzfristigen Rückführungen müsse jedenfalls erst einmal nicht gerechnet werden, versuchte sie die Situation ein wenig zu beruhigen.
Die Ergebnisse des heutige Treffens von Thomas Keller und Timo Gaarz werden jedenfalls mit Spannung erwartet. Sie sollten wichtige erste Signale senden, wie es in der Sache weitergehen könnte. (SE)