Mit Video: „Der Blick nach hinten schärft den Blick nach vorn“ – Neustadt feierte Mehrfachjubiläum mit Sasha, Mona Harry und Niclas Herbst
Neustadt. Man muss die Feste bekanntlich feiern, wie sie fallen. In Neustadt nahm diese Parole am vergangenen Wochenende rekordverdächtige Ausmaße an. Denn mit dem 775. Stadtjubiläum, 50 Jahre Europastadt, 10 Jahre „Stadt der Vielfalt“ und dem europäischen folklore festival (eff) zeigt sich die kleine Stadt in größter Feierlaune.
Los ging es mit den Festivitäten am vergangenen Freitagabend mit Sasha, der bei seinem fulminanten Auftritt von rund 3.800 Zuschauern umjubelt wurde. Am Samstag folgten das Altstadtfest und ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm zu den Stadtjubiläen. Dabei erlebten die Besucher auf dem Marktplatz eine rührende „Liebeserklärung an Neustadt“ von Poetry-Slammerin Mona Harry, die dieses Gedicht extra für das Stadtjubiläum geschrieben hatte. Eine weitere Premiere stand mit dem Theaterstück zur 775-jährigen Stadtgeschichte auf dem Programm. Geschrieben von Mirja Junge und aufgeführt von Darstellern der Niederdeutschen Bühne Süsel erhielten die Besucher spannende und humorvolle Einblicke in die Geschichte der Stadt. Im Anschluss gab es kostenlose historische Stadtführungen und jede Menge zum Stöbern und Staunen beim Altstadtfest, wo sich zahlreiche Vereine und Verbände präsentierten.
Bürgervorsteher Sönke Sela begrüßte zum Stadtjubiläum unter anderem Kreispräsident Harald Werner, Landrat Reinhard Sager, den Landtagsabgeordneten Peer Knöfler, den Bundestagsabgeordneten Ingo Gädechens, ehemalige Neustädter Bürgermeister sowie als Überraschungsgast den Europaabgeordneten Niclas Herbst.
Im Zusammenhang mit dem 30. eff, vormals Trachtenwoche, die seit 1951 in Neustadt stattfindet, hob der Bürgervorsteher die Gastfreundschaft der Neustädter hervor: „Die Neustädter öffnen seit 1951 ihre Herzen und Türen für unsere Trachtengäste.“ Nicht zuletzt deswegen wurde Neustadt eine Europastadt. Der Europarat war durch die Trachtenwoche auf die Stadt aufmerksam geworden und verlieh ihr im Jahr 1969 die Europafahne und den Titel „Europastadt Neustadt in Holstein“. Sela: „Wir haben diesen Titel als Stadt bekommen, aber in erster Linie verdient haben ihn diejenigen, die das Folkore-Festival all die Jahrzehnte managen und diejenigen, die unsere Gäste freundschaftlich bewirten.“
Auch Bürgermeister Mirko Spieckermann betonte, dass sich der europäische Gedanke mit dem eff in Neustadt manifestiert habe. Er nahm die Besucher mit auf eine Reise in die Geschichte der Stadt, die bei der Gründung durch Adolf IV., Graf von Schauenburg im Jahr 1244 begann. Schon damals sei der Hafen von großer Bedeutung für den Export gewesen. Aber auch der Kornhandel und die Fischerei stellten wichtige Einnahmequellen dar. Spieckermann machte Station bei der ältesten Fischerinnung Deutschlands (gegründet 1474), berichtete von Pest und großen Bränden, unter anderem dem von 1817, als auch das Neustädter Rathaus zerstört wurde. Danach habe die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, in dessen Rahmen sich auch Banken, Feuerwehr, Gewerbeverein und zahlreiche Vereine gegründet und entwickelt hätten. „Die Kriege haben ihre Spuren hinterlassen. Nach dem 2. Weltkrieg kamen zahlreiche Flüchtlinge nach Neustadt. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich, neue Wohngebiete entstanden. Der Wieksberg wurde als Marinestandort wiederbelebt“, erzählte Spieckermann. Hiervon habe auch der Handel profitiert. „Neustadt ist heute mit seinen 16.000 Einwohnern ein Geschäftszentrum mit vielfältiger Wirtschaftsstruktur“, so Spieckermann. Zudem hob der Bürgermeister die Stadt als herausragenden Gesundheits- und Tourismusstandort hervor.
Europaabgeordneter Niclas Herbst lobte das Engagement der Neustädter in Sachen Europa: „Wir Politiker können viel über die Probleme, Herausforderungen und das Verbindende in Europa reden. Das alles macht aber nur Sinn, wenn es auch einen Europagedanken vor Ort gibt. Und daran arbeiten die Menschen in Neustadt seit vielen Jahrzehnten mit.“
Das Besondere sei zudem, dass es in Deutschland nur 21 Europastädte gibt, in Schleswig-Holstein gerade mal zwei. Zur 775-jährigen Stadtgeschichte und dem eff sagte der Europaabgeordnete: „Trachten und der Blick in die Vergangenheit – man könnte meinen, das ist alles ein bisschen rückwärtsgewandt, aber der Blick nach hinten ist wichtig, um den Blick nach vorne zu schärfen.“
Landrat Reinhard Sager stellte unter anderem Neustadts Aufarbeitung der Cap-Arcona-Tragödie heraus. An den Untergang der beiden KZ-Häftlingsschiffe Cap Arcona und Thielbek im Mai 1945, bei der über 7.000 Menschen starben, erinnern heute die jährliche Gedenkveranstaltung auf dem Ehrenfriedhof und das Cap-Arcona-Museum. „Die Neustädter haben diese Katastrophe nicht vergessen.“ Dass die Neustädter offen, tolerant und freimütig sind, zeige sich auch durch die 2009 erhaltene Auszeichnung als „Stadt der Vielfalt“, mit der die Bundesregierung Engagement für kulturelle Vielfalt würdigt. (he)