Pilotierungsarbeiten in der Lübecker Bucht - erste Kiste enthielt Sprenggranatenpatrone
Neustadt in Holstein. Vielen sind sie bereits ins Auge gefallen: Die Schiffe oder Plattformen, von denen aus schwarze Säulen in die Höhe ragen und die seit Anfang September im Neustädter Hafen liegen. Diese sind wegen der Pilotierungsarbeiten zur Entsorgung von Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee (der reporter berichtete) vor Ort, um im Rahmen des Sofortprogramms Munitionsräumung in der Lübecker Bucht Munitionsaltlasten aufzuspüren und zu bergen.
Experten gehen aktuell von rund 50.000 Tonnen versenkter Munition allein in der Lübecker Bucht aus. 2019 gab es den Weckruf aus der Wissenschaft, dass aus den verrostenden Kampfmitteln bereits heute Sprengstoff (TNT) und dessen Abbauprodukte austreten. In Muscheln und Fischen, die in der Nähe von Munitionsfundorten leben, konnten bereits Spuren dieser Stoffe nachgewiesen werden.
Dem Projekt zur Munitionsbergung stehen insgesamt 100 Millionen Euro aus Bundesmitteln zur Verfügung. Bundesumweltministerin Steffi Lemke spricht von einem bedeutenden Schritt: „Bislang wird nirgendwo in dieser Größenordnung alte Munition aus den Meeren geborgen, wir leisten damit technische Pionierarbeit, die hoffentlich auch in anderen Regionen der Welt Anwendung finden kann.“ Seit dem 12. September werden, bis in den November hinein, im praktischen Einsatz bereits verfügbare Technologien und Methoden zusammengeführt und weiterentwickelt. Das Ziel ist, Munitionsaltlasten unter den herausfordernden Bedingungen in den Munitionsversenkungsgebieten besonders effektiv und umweltschonend zu bergen. Durch die elektromagnetische Kartierung vor Ort konnte auch eingesunkene und teilweise von Sediment überdeckte Munition neu aufgespürt werden. Die versenkte Munition liegt also teilweise in dichten Schüttungen. Aus einem solchen Haufen stammt auch die erste Kiste, die im Rahmen des Sofortprogramms geborgen wurde. Aus ihr wurde das erste Objekt erfasst: eine 20 mal 139 Millimeter große, 300 Gramm schwere Sprenggranatenpatrone, einst angedacht für den Einsatz in Flugabwehrkanonen. Während der ersten vier Tage konnten bereits knapp 50 Kisten geborgen, erfasst und für die spätere Entsorgung vorsortiert werden.
Infos zu den Schiffen:
Die Pilotierungsarbeiten werden zur Zeit an zwei Orten in der Lübecker Bucht durchgeführt. Vor Pelzerhaken arbeitet die Arbeitsgemeinschaft Eggers Kampfmittelbergung/Hansataucher und vor Haffkrug die SeaTerra GmbH. Die Schiffe liegen im Hafen auf der Westseite.
Eggers/Hansataucher hat insgesamt fünf Fahrzeuge im Einsatz: Helgoland (Bergeplattform), HT01 (Transport), Du¨ne (Transport), „Pamela P“ (Crewschiff) und die „Osprey“ (zur Absicherung der Sperrgebiete).
SeaTerra operiert mit vier Fahrzeugen: NP 562 (Räum- Sortiereinheit), Noorman (Transport), Topaz (Crewfahrzeug) und SWAROG (Absicherung der Sperrgebiete).
So geht es weiter
Zur Zeit wird die geborgene Munition gesichtet, sortiert und in sicheren Nasslagern aufbewahrt, aus denen sie für eine spätere Entsorgung in einer Plattform auf See entnommen werden können. Die auf diese Weise „weggeschlossene“ Munition gibt ab diesem Zeitpunkt keine Giftstoffe mehr ins Meer ab. Im Rahmen der „Entwicklung einer Industrieanlage zur Entsorgung von Munitionsaltlasten auf See“ startete vor Kurzem das Ausschreibungsverfahren für den Bau einer solchen Plattform. Die Entsorgungsanlage soll im Rahmen einer sogenannten „Innovationspartnerschaft“ entwickelt werden. Eine schwimmende mobile Anlage zur industriemäßigen Aufbereitung und Entsorgung von Munitionsaltlasten, direkt auf See, hat es bisher weltweit noch nicht gegeben. Sie bringt das Knowhow von marinen Bergungsunternehmen zusammen mit der Technik und dem Wissen zur Entsorgung von Munitionsaltlasten an Land. Letztere müssen auf die Umsetzung auf See angepasst werden.
Kurz nachgefragt
Ein Leser wollte von uns wissen, warum die Scheinwerfer der Schiffe eigentlich Tag und Nacht eingeschaltet sind. Hier hat uns die Besatzung mitgeteilt, dass die Schiffe nachts grundsätzlich aus Sicherheitsgründen beleuchtet bleiben. Dabei geht es zum Einen um die Sichtbarkeit für einlaufende Schiffe und zum Anderen um das Schiffspersonal, wenn das Schiff verlassen und wieder betreten wird. (red/ko)