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Auslachen ist genauso gemein wie Schubsen oder Haareziehen

STOPP! Wie sie sich verhalten, wenn jemand ihnen zu nahe tritt, das lernen die Erstklässler der Arnesbokenschule bei Claus-Tomas Angermann in der Gewaltprävention.

STOPP! Wie sie sich verhalten, wenn jemand ihnen zu nahe tritt, das lernen die Erstklässler der Arnesbokenschule bei Claus-Tomas Angermann in der Gewaltprävention.

„Wie heißen nochmal unsere drei Freunde, die wir nicht verlieren sollten?“ fragt Claus-Tomas Angemann die Kinder der Klasse 1b der Ahrensböker Arnesbokenschule: „Höflich! Nett! Freundlich!“ rufen die Lütten ganz laut. „Genau“, strahlt der Erziehungsberater und Fachmann für Gewaltprävention. Zum zweiten Mal erst ist er in der Klasse, aber die Kinder finden ihn jetzt schon super und erzählen ihm erstmal von ihrer Woche, in der sie sich nicht gesehen haben. Die drei Freunde, die wirklich jeder haben sollte, bringen die Kinder morgens mit zur Schule und nehmen sie auch wieder mit nach Hause – „und wann geht einer verloren?“ fragt er. „Wenn man einen ärgert“, sagt ein Mädchen, wenn man ein gemeines Wort zu jemandem sagt, aber auch Schubsen, Treten, Kneifen, Beißen und Haareziehen, gar eine Backpfeife geben lässt einen oder mehr der drei Freunde verschwinden. „Und wie ist das mit Auslachen?“ „Doof“ sind die Kinder sich einig. Aber was macht man, wenn einer kommt und was Gemeines macht? Oder einfach etwas, was man nicht will. Denn: „Guckt mal, darf ich das?“ fragt er und streicht Klassenlehrerin Swantje Meyer-Sieck über die Wange. „Neeeeeeiiiiin“ rufen die Kinder. „Hör auf“. Denn ganz offensichtlich mag Swantje Meyer-Sieck das nicht. „Recht habt ihr. Ich hätte wenigstens fragen können, ob ich das darf. Wisst Ihr, was Ihr machen könnt, wenn jemand sowas bei Euch macht? Was Ihr nicht wollt? So laut STOPP rufen, dass der andere mit seinem Po in die Mülltonne fliegt.“ Und dann wird das STOPP-Rufen geübt. „Dazu stellt Ihr Euch hin wie ein großer, starker Baum, streckt die Hand aus und ruft STOPP.“ Zehn Wochen lang begleitet Angermann die Kinder. Wichtig sei es, den Kindern nahezubringen, wie sie sich in Situationen verhalten, in denen ihnen jemand zu nahe tritt – das gilt fürs ungewollte und ungefragte Streicheln ebenso wie fürs Treten, Schubsen, Auslachen, Beißen, Haareziehen. Es ist so ein bisschen das ganz alte Sprichwort: „Was Du nicht willst, dass man Dir tu’, das füg auch keinem andren zu.“ Mit einer tollen Mischung aus Bewegung, Spielen und spielerischen Erklärungen, die den Balanceakt zwischen ernst gemeint und lustig rübergebracht schaffen, zeigt er den Kindern, wie sie ganz klarmachen, was sie nicht wollen. Und was sie tun können, wenn ihr Gegenüber ihr STOPP nicht respektiert und einfach weitermacht. „Ihr lauft zu Eurer Schutzinsel“, sagt er. „Wisst Ihr, wer das in der Schule ist? Eure Lehrerin.“ Als Hausaufgabe bekommen die Kinder auf, ihre persönliche STOPP-Schutzinsel zu malen – auf diese Weise verinnerlichen die Lütten das, was sie gelernt haben. „Wir müssen den Kindern Lösungen anbieten, zeigen, was sie in bestimmten Situationen tun können, wenn sie sich entscheiden müssen, was sie tun. Dann fühlen sie sich sicherer.“ Rund 40 Einrichtungen, vor allem Schulen und KiTas, betreut Claus-Tomas Angermann jährlich in Sachen Gewaltprävention – seit zwölf Jahren ist er Erziehungsberater mit Weiterbildung für Gewaltprävention in KiTas und Schulen. Wie er dazu gekommen ist? „Ich komme aus dem Strafvollzug“, schmunzelt der sympathische Lübecker, „und darauf, wie wichtig Gewaltprävention ist, kam ich durch meine Arbeit mit Straftätern.“ Also sattelte er um und bringt mit seinem „Prokids – ganz stark gegen Gewalt“ Kindern nahe, wie man Gewalt vermeidet. „Es ist ein Mix aus Gewaltprävention und Sozialkompetenz-Training“, erklärt Angermann, „und gehört zur sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder. Es ist das Lernen, miteinander besser umzugehen, einander besser zu verstehen, zuhören, was der andere meint, diskutieren, ohne zu streiten und einander helfen, wenn man in Not ist.“ Konfliktlösung eben. Dazu hat er verschiedene Trainings entwickelt, die auf einander aufbauen, von der KiTa bis in die weiterführenden Schulen. Deswegen kennt Claus-Tomas Angermann schon ganz viele der Erstklässler – einen großen Teil hat er schon in den Kindergärten kennengelernt, sie wissen schon, wie Gewaltprävention funktioniert, wie sie sich in solchen Situationen verhalten und welche Regeln dabei helfen. „Aber das hilft nichts, wenn sie in die Schule kommen und keiner außer ihnen kennt diese Regeln“, sagt Schulsozialarbeiterin Birgit Bielawny – sie hat die Gewaltprävention für die ersten Klassen initiiert. Die Schule in Form der Klassenlehrer und der Schulsozialarbeiterin werden miteingebunden. Die Lehrer sind mit dabei, nehmen die Regeln in den Schulalltag mit auf. Denn wenn man doch mal einen seiner drei Freunde verliert, dann malt man ein Entschuldigungsbild – darauf ist zu sehen, was passiert ist. Unten drunter stehen einige Fragen, die die Eltern mit ihren Kindern klären sollen – „auf diese Weise wissen die Eltern sofort: Da war was. Und es fördert die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule.“ Schon im dritten Jahr finanziert die Gemeinde dieses Angebot – wenn möglich soll es ausgebaut werden. „Ich würde das Programm gerne in den fünften Klassen nochmal wiederholen“, wünscht Bielawny sich. „Es macht den Schulalltag leichter, es wird einfacher, Streitigkeiten zu schlichten. Klare Regeln helfen, aber nur. wenn jeder sie kennt.“


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