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Geschichte: Eutiner Schutzhaftlager 1932/1933

Eutin (t). Die Arbeiten am Erweiterungsbau des Kreishauses gehen zügig voran. Auf Initiative von Regine und Karlheinz Jepp vom Büro für Stadtgeschichte und der Eutiner Bürgergemeinschaft wird im Verbindungsgang zwischen Alt- und Neubau künftig eine Ausstellung an die Historie des Ortes erinnern. Bei einem Gespräch mit Landrat Reinhard Sager stellte Regine Jepp kürzlich die Inhalte vor. Wo jetzt verwaltet wird, stand einmal ein Gefängnis. Die Geschichte des Gefängnisses beginnt im Jahr 1830 mit dem Mord am Kammerherrn von Qualen. Der Großherzog erwirbt dessen Palais. Die Baukommission plant einen Umbau des Wohnhauses in Büroräume und den Bau eines Gefangenenhauses. Die Fertigstellung des Gefangenenhauses zieht sich bis zum Sommer 1836 hin. Nachdem das Gefangenenhaus über viele Jahrzehnte hinweg seinen Dienst getan hat, manifestiert sich jedoch bereits zu Beginn der 1930er Jahren eine die frühe Umwälzung zum Nationalsozialismus.

In den Tagen und Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 entstehen vielerorts in Deutschland so genannte „wilde“ Konzentrationslager. Diese ersten Lager zeigen eine Vielfalt von Organisations- und Leitungsformen – besonders im Vergleich zu dem später vereinheitlichten, ausschließlich unter der Regie der SS stehenden KZ-Systems, so dass man durchaus von einer gewissen Improvisation sprechen kann. Die ersten Häftlinge sind hauptsächlich Funktionäre und Anhänger der SPD und KPD. Aber auch Mitglieder des Reichsbanners, Gewerkschaftsführer, bürgerliche Politiker, Intellektuelle und Beamte zählen zu den Festgenommenen, die häufig brutal geschlagen und schikaniert werden. Ein solches „wildes“ KZ hat es auch hier in Eutin gegeben, später in Holstendorf und dann in Ahrensbök. Seine Entstehung und Entwicklung nachzuzeichnen, wird wesentlich dadurch erschwert, dass viele Unterlagen aus dem Lager inzwischen verloren gegangen sind.

Als erste Stelle im Eutinischen wird das Amtsgerichtsgefängnis seit Sommer 1933 auch öffentlich Konzentrationslager genannt. Der zweistöckige Bau steht im Zentrum der Stadt. Die Schutzhäftlinge sind der Gewalt des Lagerkommandanten Theodor Tenhaaf ausgeliefert, der zusammen mit einzelnen Hilfspolizisten mehrere Häftlinge mit einem meterlangen dicken Lederknüppel schlägt, nicht zuletzt um von ihnen Geständnisse zu erpressen. Regierungspräsident Böhmcker ist letzten Endes für alle politischen Verhaftungen im Eutinischen verantwortlich. Man kann das Konzentrationslager, wie es der Historiker Lawrence D. Stokes tut, durchaus als seine persönliche Einrichtung betrachten. Die traditionelle Selbständigkeit des Landesteils und Böhmckers Rang als hoher SA-Führer tragen ebenfalls dazu bei, dass er innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs weitgehend nach eigenen Machtvorstellungen vorgehen kann. Das KZ wird deshalb zu dem Ort, wo Böhmcker nicht nur tatsächliche oder angebliche Gegner des NS-Regimes inhaftiert, sondern auch Diejenigen, die sein oft indiskutables Benehmen oder aber seine Regierungspolitik zu kritisieren wagen. Außerdem benutzt er das Lager und die damit verbundene Schutzhaft, um Geld zum Unterhalt seiner SA-Männer zu beschaffen, die zum großen Teil arbeitslos gewesen sind.

Kein Insasse des Konzentrationslagers in Eutin büßt mit seinem Leben für seine politische Anschauung. Böhmcker lässt sogar Häftlinge wegen dringender Familien- oder Geschäftsangelegenheiten für kurze Zeit beurlauben; auch bekommen sie ausreichend zu essen. Doch die Misshandlungen durch den Kommandanten und die Wachmannschaft, auch die primitive Unterbringung und Bekleidung der bei jedem Wetter draußen schwer arbeitenden Gefangenen führen bei den meisten zu erheblichen physischen und seelischen Schäden.
Die Einwohner Eutins waren Zaungäste dieser Entehrung und Entrechtung ihrer Nachbarn, Freunde und Bekannten. Denn Hunderte ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, hauptsächlich Arbeiter und deren politische Vertreter, erfahren gleich 1933 am eigenen Leib das Unrechtssystem des Hitlerreiches, ohne dass sie von den Justizbehörden Schutz für ihre Person und ihre Rechte erwarten dürfen. Die tägliche Willkür, Misshandlungen und Verhaftungen, die mit Lappalien, Behauptungen und Unwahrheiten begründet werden, erzeugen ein Klima der Angst für weite Teile der Bevölkerung.

Insoweit gehören die Erlebnisse der im Eutiner KZ Inhaftierten zu den großen Traumata, die eine der Folgen der NS-Diktatur darstellen.


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